90 Jahre Jazz an Dr. Hoch's Konservatorium

Jazz an Dr. Hoch's

Eine 90-jährige Geschichte verbindet das Konservatorium mit dem Jazz in Frankfurt. Große Namen, wie die die der beiden Mangelsdorff-Brüder fallen in diesem Zusammenhang, denn auch in den 70er Jahren gab es am Dr. Hoch’s Konservatorium Frankfurt die Möglichkeit, Jazz zu studieren. Albert Mangelsdorff übernahm damals den Unterricht in Improvisation und Stilistik des Jazz. 1978 wurde dann die erste Bigband der Akademie unter der Leitung von Ulrich Engelmann gegründet. Doch dies war nicht der erste Vorstoß, den Jazz am Konservatorium zu etablieren.

Bereits 1928 kündigte der damalige Direktor Bernhard Sekles die Einrichtung einer Jazz-Klasse an. Er wollte, dass „typische Jazzinstrumente“ wie Saxophon und Banjo neben einer Vokalklasse unterrichtet werden. Auch sollten Ensembleübungen angeboten werden. Unterrichtet werden sollte die Klasse von einem Dozenten, der Jazz in Amerika studiert und gespielt hatte – er sollte also die besten Erfahrungen mit dem „echten“ Jazz mitbringen. Doch diese Ankündigung stieß auf Widerspruch: Nicht nur vom Kollegium des Konservatoriums, das nicht über eine Gründung einer solchen Klasse befragt wurde, sondern auch von der Politik. Das private Konservatorium stand in dieser Zeit kurz davor, von der öffentlichen Hand übernommen zu werden, doch durch die Ankündigung des Direktors eine Jazz-Abteilung gründen zu wollen, wurde dieser Schritt infrage gestellt. Sekles wurde als „triebhaft“ und „undeutsch“ bezeichnet, die Schüler, so die Presse, müssten vor so einem Leiter geschützt werden.

Dennoch stellte Sekles diesen Lehrer ein: Matyás Seiber, der erst in Budapest Komposition und dann in Amerika Jazz studiert hatte, begann eine Jazzklasse aufzubauen. Er erstellte einen Lehrplan nach den Vorstellungen des Direktors. Zwischen zehn und 20 Schülern wurden unterrichtet – mit Erfolg. Schon 1928 wirkten die Studierenden an Rundfunksendungen und Aufführungen der Dreigroschenoper im Neuen Theater mit. Im März 1929 präsentierte die Klasse dann erstmals ihre Ergebnisse in einem eigenen Konzert der Öffentlichkeit – neben Gershwin stand auch Strawinsky auf dem Programm.  Das Konzert wurde aufgrund des großen Erfolgs wiederholt und auch die allgemeine Empörung der Politik legte sich langsam.

1933 nahm die Ära der Jazzklasse jedoch ein rasches Ende. Nachdem Hitler Reichskanzler wurde, gründete ein Rechtsanwalt der NSDAP in Frankfurt den „Ausschuss zur Reorganisation des Dr. Hoch’s Konservatoriums“ – ein Gremium mit dem Ziel, alle Ausländer und Juden aus dem Lehrerkollegium zu entfernen. Matyás Seiber, der wichtigste Lehrer der Jazzklasse, war Jude. So verließ mit ihm auch der Jazz das Konservatorium für lange Zeit.

Heute kann man am Konservatorium Jazz mit dem Abschluss Bachelor of Music studieren. Renommierte Musiker, wie die Echopreisträgerin und Trägerin des hessischen Jazzpreis Anke Helfrich, unterrichten in einer Abteilung mit derzeit 18 Studierenden und Jungstudierenden.

 

90 Jahre Jazz-Klänge

1928-2018. Weltweit der erste Jazzstudiengang, das klingt schon imposant. Ob unsere Freunde in den Staaten das so gerne hören? Könnte mir gut vorstellen, dass ein Wynton Marsalis da "not amused" ist. In Deutschland ging es ja erst 1957 in Köln mit dem Jazzkurs von Kurt Edelhagen weiter, ein Diplom-Jazzstudium war erst ab 1981 an der
Musikhochschule Köln möglich.

Aber wie klang das damals? Wir werden feststellen: die damaligen Stars von morgen (Louis Armstrong ausgenommen), teilweise noch nicht mal 20 Jahre alt, waren schon richtig gut unterwegs. Bleiben wir gleich bei Satchmo: Die Einleitung zum "West End Blues" vom 28. Juni 1928 ist bis heute eine Probespielstelle für alle Jazztrompeter, und die Musik der Hot Five (u.a. mit Earl Hines (25) und Zutty Singleton) hat zeitlose Qualität.

Drei Quellen für Neugierige seien hier erwähnt: Die Reihe "The Engine Room - 4 CDs - Jazz-Drumming zwischen 1923 und 1948" wartet mit 3 Titeln aus dem Jahre 1928 auf. Eines der besten Bücher für Einsteiger ist Mark C. Gridley's "Concise Guide To Jazz", hier ist eine Analyse des "West End Blues" zu finden. Und die Compilation "100 Years Of Jazz" mit ihren 12 CDs hat immerhin 14 Beispiele von 1928 aufzuweisen.

Im folgenden eine lose Aufstellung von Titeln. Wirklich erstaunlich, wen man hier schon antrifft.

"Clarinetitis". Der gerade mal 19jährige Benny Goodman spielt hier mit Bob Conselman am Schlagzeug und Mel Stitzel am Klavier bereits in der Besetzung seines später legendären Trios mit Gene Krupa und Teddy Wilson.

In einem "All Star Orchestra" sitzen bei "My Melancholy Baby" Tommy Dorsey und Joe Venuti in der Band, bei "I'm More Than Satisfied" auch noch Glenn Miller, 24 Jahre alt (seine berühmte Band begann erst 1938) und Benny Goodman, diesmal an Klarinette und Altsaxophon.

Der Komponist von Klassikern wie "Georgia On My Mind", "Skylark" oder "Stardust", Hoagy Carmichael, nimmt "March Of The Hoodlums" mit seinen Collegians auf.

Den "Wolverine Blues" spielen Benny Goodman and his boys. Die Jungs waren Glenn Miller, Jimmy McPartland und Bud Freeman.

Beim "South Bound Rag" begleiten Johnny Dodds (cl), Jimmy Bertrand (drums & vibes) und Jelly Roll Morton den Bluesmusiker Blind Blake Bix Beiderbecke (25) nimmt u.a. die Titel "Ol' man River, Thou Swell, Margie und Louisiana" auf.

"The Big Aces" nennt sich eine Formation um Jimmy Dorsey (24), seinen ein Jahr jüngeren Bruder Tommy und den Posaunisten Jack Teagarden.

Bei den "Chicago Rhythm Kings" sind Gene Krupa (19), Muggsy Spanier und Eddie Condon dabei.

Johnny Dodds (cl) nimmt mit seinem Bruder Baby Dodds (dr) und Lil Hardin Armstrong auf.

Langjährige Weggefährten sollten bei Duke Ellington's "Washingtonians" Harry Carney, Sonny Greer, Wellman Braud und der 22jährige Johnny Hodges werden.
In Duke Ellington's "Cotton Club Orchestra" hören wird den Sänger Irving Mills, der später einen der grössten Musikverlage haben wird. Was ihn nicht gehindert hat, bei zahlreichen Stücken seinen Namen als Co-Autor anzugeben, obwohl er nichts komponiert hatte!

Und noch ein Kuriosum: die Jazzdiscographie von Tom Lord listet auch einen (sic) deutschen Jazztitel aus dem Jahre 1928 auf: Beate Roos-Reuter singt mit dem Haller Revue Jazz Orchester unter Kapellmeister Hans Schindler "Ich bin die mare von der Haller Revue". Der
kanadische Jazz-Discograph meinte natürlich die "Marie".

So ging es zu vor 90 Jahren. Glückwunsch meinerseits und viel Erfolg auf dem Weg zum 100ten! Ich hoffe, meine Aufstellung macht Lust auf's Hören.

Thomas Stabenow im Dezember 2018